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Teil 4/12: Sprache

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Anthroposophische Perspektiven - In dieser Aufsatzreihe stellen Autoren beispielhaft Perspektiven der Anthroposophie auf das Lebensgebiet ihrer Berufspraxis vor.

estehen oft aus Sätzen,

estehen oft aus Sätzen, in denen nicht die Bedeutung, sondern die Lautfolge eine gezielte Sensibilisierung oder Kräftigung der Sprachorgane, der Atmung, der Artikulationsfähigkeit et cetera erzeugt (Rudolf Steiner: »Die Kunst der Rezitation und Deklamation, Methodik und Wesen der Sprachgestaltung«). Nach Rudolf Steiner ist das Hören, »vor allem das Sich-selber-Zuhören«, Ausgangspunkt jeglicher Sprechtätigkeit. Das ist »wie ein Fühlen der Laute, was sich durch die Ohren ergießt.« Das ermöglicht, dass man viel sensibler fühlen lernt, was die verschiedenen Laute an »natürlicher Selbstverständlichkeit in der Handhabung der organischen Funktionen« bewirken. Jetzt kommt eine Sprechprobe. Sprechen Sie zügig: Zuwider zwingen zwar zweizweckige Zwacker zu wenig zwanzig Zwerge. Die sehnige Krebse Sicher suchend schmausen Das schmatzende Schmachter Schmiegsam schnellstens Schnurrig schnalzen. Merken Sie, was es mit Ihnen macht? Ein eigener Bereich ist die Stimme. Sie ist unser akustischer Fingerabdruck. Kein Mensch auf dieser Erde ist stimmlich identisch mit irgendeinem anderen. Wir sind gewohnt, uns selbst und andere am Stimmklang zu identifizieren. Wir bringen in unsere Stimme unser unruhiges Selbst ständig mit hinein. Stimme spiegelt Stimmung. Stimme gibt wieder, wenn etwas nicht stimmt. Die Auseinandersetzung des Sprechers mit der Sprache verhält sich nach dem Prinzip der 1996 entdeckten Spiegelneuronen 4 : Alles in der Sprache ist Bewegung, das verlangt vom Sprecher eine gleiche Beweglichkeit. Sprache stellt sich zur Verfügung, so ist der Sprecher veranlasst, sich ebenfalls zur Verfügung zu stellen. Der 4 Im Jahr 1996 gelang dem Chef des Physiologischen Instituts der Universität Parma, Giacomo Rizzolatti, eine spektakuläre Entdeckung. Er erforschte, in diesem Fall zuerst beim Affen, wie die Neuronen im Hirn, welche bei einer bestimmten Handlung aktiv werden, genauso tätig werden, wenn diese Handlung von einem anderen ausgeführt und vom ersteren nur beobachtet wird. Wir machen alles in der Welt innerlich mit. Die auf diese Weise aktivierten Neuronen bekamen die Bezeichnung: »Spiegelneuronen«. Die gewonnenen Erkenntnisse der Tierversuche wurden später auch beim Menschen als gültig be stätigt. Und zwar mit erweitertem Wirkungsradius: »Beim Menschen genügt es zu hören, wie von einer Handlung gesprochen wird, um die Spiegelneuronen in Resonanz treten zu lassen. Diese Resonanz der Spiegelneurone erzeugt sogar Handlungsbereitschaften zu dieser Handlung«. Das Gleiche gilt für die Sprachfähigkeit. Im Gehirn befinden sich die Nervenzellen, die für die Sprachproduktion zuständig sind, an gleicher Stelle wie die Spiegelneuronen des bewegungssteuernden Systems. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie teilweise identisch sind (Joachim Bauer: »Warum ich fühle, was du fühlst«). »Das Geistige wird sinnlich im Gewand, das der (Sprech-)Künstler ihm gibt« Rudolf Steiner Sprachgestalter bildet mit der Sprache an sich selbst, indem er der Sprache entspricht. Ein großes Anliegen der Sprachgestaltung ist die Kunst, Dichtung zu sprechen, von den ältesten Überlieferungen alter Kulturen bis hin zu den modernsten Sprachschöpfungen. Was sich an der Schnittstelle von Sprache und Sprecher an Ereignissen und Gestaltungen entwickelt, kann man als das Kerngebiet der Sprachgestaltung bezeichnen. So eröffnen sich ganz andere Haltungen, andere Räume und Sprechansätze, sogar andere Artikulationszonen beim Vortragen alter Sagen und Mythen als bei der modernen Erzählung, als bei der Rezitation eines Gedichtes, als bei der dramatischen Auseinandersetzung zwischen mehreren Akteuren auf der Bühne. Der Sprechkünstler findet die Zugangsweisen immer am Konkreten der Sprache, sei es, dass er mehr dem Klang nachgeht oder der Satzbildung, der Bewegungsart oder die Gestimmtheit in einem Laut sucht. In Rudolf Steiners Dramatischem Kurs finden sich noch viel ungewohntere Anregungen, zum Beispiel der gymnastische Fünfkampf der Griechen oder die Schulung in Naturbetrachtung et cetera, alles in Bezug zu den Offenbarungen der Sprache (Rudolf Steiner: »Sprachgestaltung und dramatische Kunst«). »Das Sinnliche enthält nämlich alles Geistige, alles Leben, andersherum gesagt: Das Geistige wird sinnlich im Gewand, das der (Sprech-)Künstler ihm gibt« (Rudolf Steiner: »Goethe als Vater einer neuen Ästhetik«). An den sinnlich-konkreten Komponenten können sich Kreativität und exakte Fantasie entfalten. Das ist nicht immer leicht, denn die Arbeit an der Sprache führt hinein in viele Dimensionen des Lebens, mit allen Höhen und Tiefen, in Bewusstes und Unbewusstes, Bekanntes und Unbekanntes, Gesagtes und nicht Gesagtes. Ein wichtiges Arbeitsfeld für den bewussten Umgang mit der Sprache ist die Pädagogik. Es ist eine Tatsache, dass wir heute durch alle Arten von elektronischem, phrasenhaften, gleichförmigen Müll zugeschüttet werden, wodurch sogar die Spiegelneuronen im Gehirn nicht mehr anschlagen 5 . Es ist aber nicht so, dass die Sprache selbst verloren geht. Die Sprachfähigkeit kann jederzeit an der Sache selbst durch lebendige Begegnung mit echter Dichtung oder im lebendigen Gespräch wieder auftauchen. Wir können jederzeit übergehen von Beeindruckungen von außen zur Ausdrucksfähigkeit von innen. In den Waldorfschulen gibt es viele Angebote: tägliches »Training« mit rhythmischen Sprüchen, Vermittlung des Lernstoffs, angereichert durch gesprochene Dichtung im Haupt- und 6 5 Die Spiegelneuronen werden nur bei leibhaft echten Begegnungen tätig, nicht bei elektronischen Übertragungen.

Fachunterricht (auch Biologie, Mathematik, Fremdsprachen); zudem ganze Epochen, welche sich mit großen Dichtungen (wie Parzival, Nibelungen, Faust) sowie Metrik und Poetik auseinandersetzen, und last but not least, die großen Theaterspiele in der achten und elften oder zwölften Klasse und die jährlichen Oberuferer Weihnachtsspiele. Zum Betätigungsfeld der Sprachgestaltung gehört zunehmend die Sprechtherapie. Sie geht über die »Reparatur« der üblichen Sprechdefizite beim Menschen hinaus. Die Forschungen der letzten Jahre konnten nachweisen, dass Sprachgestaltungsübungen sogar eine harmonisierende Synchronisation von Atem- und Herzrhythmus entwickeln, die sonst nur im erholsamsten Tiefschlaf erreicht wird, und dass jeder Laut auf spezifische Art den venösen Blutstrom gestaltet (weitere Informationen unter www.therapeutische-sprachgestaltung.de). GEISTESWISSENSCHAFT UND SPRACHE Es ist in diesem Zusammenhang interessant zu erfahren, welches Verhältnis Rudolf Steiner selbst zur Sprache gefunden hat, weil er doch einen unmittelbaren Zugang zum Geistigen hatte. Wilhelm Keilhau kannte »keinen Redner, der es in Atemtechnik und Stimmführung mit ihm aufnehmen könnte« (Wilhelm Keilhau: »Samtiden« 37. Jg., Oslo 1926). Steiners Sprache ist zunächst ungewohnt, denn »unsere Sprache ist geprägt von der Erdenwelt und oft nur schwer durchlässig für die Quelle« (Rudolf Steiner: Das Künstlerische in seiner Weltmission). Rudolf Steiner musste um das Wort ringen, sowohl als Redner in über 5.000 Vorträgen als auch in seinen zahlreichen Dichtungen. Er suchte durch bildreiche Wort schöpfungen und neue Wortverbindungen die Sprache zu finden, welche die Beweglichkeit und Dynamik des Geistigen in irdischen Verhältnissen zur Darstellung bringt. Steiners Sprache ist daher nicht leicht zugänglich für unsere Ohren oder Denkgewohnheiten, er holte oft weit aus, brachte ungewohnte Satzwendungen, erzeugt aber eine nachhaltig schöpferische, innerlich bewegte Tätigkeit in demjenigen, der sich mit seiner Sprache aus- Des Menschen Äußerung durch Ton und Wort. Rudolf Steiner im Vortrag am 2. 12. 1922 SPRECHEN UND SPRACHE

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