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Teil 4/12: Sprache

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Anthroposophische Perspektiven - In dieser Aufsatzreihe stellen Autoren beispielhaft Perspektiven der Anthroposophie auf das Lebensgebiet ihrer Berufspraxis vor.

EINFÜHRUNG Mittels

EINFÜHRUNG Mittels Lauten kommunizieren auch Tiere, sogar über Artgrenzen hinweg. Warnlaute von Vögeln kann sogar der Mensch »verstehen«. Ein Seelisches wird geäußert, das etwa »Achtung!« bedeutet. Umgekehrt kann man durch Einsatz der menschlichen Stimme mit langsam gesprochenen, dunklen Lauten ein aufgeregtes Tier beruhigen. Das Wort »Ruhe« – mit sehr langem »u« gesprochen – eignet sich aufgrund seiner klanglichen Eigenschaften gut dazu. Das Tier »weiß« ja nicht, was »Ruuuuhe« bedeutet, nimmt aber den lautlichen Eindruck auf und reagiert. Wenn Menschen miteinander sprechen, geht es um die lautlichen Qualitäten der Worte, und es geht um ihre mehr oder minder definierte lexikalische Bedeutung. Aber im Wort schwingt mehr mit, ein lebendiges Geistiges. »Ein Vogel käme dir wieder. / Nicht dein Wort« sagt die Dichterin Hilde Domin, um wenig später das Wort gar mit einem Messer zu vergleichen: »Ein Messer trifft oft / am Herzen vorbei. / Nicht das Wort« (»Unaufhaltsam«). Ein Wort kann tödlich verletzen. Glücklicherweise kann es auch trösten, lindern, heilen. Ein Sprachfehler quält nicht nur den, der mit ihm geschlagen ist. Wie befreiend die Heilung sogar noch in einer nacherzählten Kino-Geschichte wirken kann, zeigt der Oscar-prämierte Film »The King’s Speech«, wörtlich übersetzt »Des Königs Rede« oder »Des Königs Sprache«. Mit Bewusstsein für die klanglichen wie Bedeutungsgehalte der Sprache lässt sich höchster künstlerischer Ausdruck ebenso erreichen wie soziale Realität gestalten. Was hier möglich ist, geht über den reinen Informationsgehalt der gesprochenen Worte weit hinaus. Der Sprachgestalter und Regisseur Marc Vereeck spürt im folgenden Beitrag den Möglichkeiten von Sprechen und Sprache nach. ››› Manon Haccius I M P R E S S U M Anthroposophische Perspektiven / Zwölfteilige Serie Teil 4: Sprechen und Sprache Autor: Marc Vereeck Herausgegeben von: Manon Haccius, Alnatura Produktions- und Handels GmbH, Darmstädter Straße 63, DE-64404 Bickenbach, www.alnatura.de Copyright © 2011 by Alnatura Produktions- und Handels GmbH, Bickenbach Gestaltung: usus.kommunikation, Berlin Abbildungen: Rudolf Steiner Archiv, Dornach Verlag: mfk corporate publishing GmbH, Prinz-Christians-Weg 1, DE-64287 Darmstadt Druck: alpha print medien AG, Darmstadt Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, verboten. Kein Teil des Werks darf ohne schriftliche Genehmigung in irgendeiner Form reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme oder Datenträger verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Jede Verwertung ist ohne die Zustimmung des Herausgebers und des Autors unzulässig.

SPRECHEN UND SPRACHE MARC VEREECK Sprache ist größer als der Mensch. Sie stellt sich ihm bedingungslos zur Verfügung. Sprechen, »wie mir der Schnabel gewachsen ist«, gehört zum Alltag. Wir benutzen die Sprache wie selbstverständlich als Medium. Dabei liegt die Aufmerksamkeit vor allem auf dem Gesagten, auf dem Inhalt, nicht so sehr auf dem Wie des Sprechens. Jeder will sich verständlich machen durch Sprache 1 . »Ich sprech’ halt so, wie mir der Schnabel gewachsen ist«, sagt der junge Mann an der Kasse. »Es tut mir leid«, antwortet der Kunde, »ich habe Sie wirklich nicht verstanden. Wie viel soll ich jetzt bezahlen?« Wie wir etwas sagen, entgeht häufig unserer Aufmerksamkeit. Auch weitere Aspekte der Sprache und des Sprechens: Kraft, Klang der Stimme, Rhythmus, Gebärden et cetera bleiben weitgehend unbewusst, obwohl sie so stark auf das Gegenüber wirken – und auf einen selbst. Sie kennen das: Sie telefonieren mit jemandem, den Sie noch nie gesehen haben. Und was entsteht? Sie fangen an, sich diese Person nur über die Stimme vorzustellen. Die Stimme ist ein zweiter Mensch im Menschen. Man kann ihn sogar sehen! Es ist immer lustig, wenn man dann später die Person leibhaftig sieht, die man bis dahin nur am Telefon gehört hat. Sie sieht wirklich anders aus. Sprechen nur auf gute Artikulation und Sprechtechniken zu reduzieren, heißt, sich nur auf einen (nicht unwesentlichen) Teilaspekt zu beschränken. Sprache und Sprechen ist viel mehr: Bewegung, Mimik, Atem, Stimmführung, Stille, Lautcharaktere, Gebärden, Begriffe, Intentionen, Atmosphäre, Sprach- und Versformen, Grammatik, Satzbogen, Sprecher und Zuhörer, sogar die Herkunftslandschaft, der Schriftsteller oder Dichter et cetera gehören dazu. Sprache erscheint in Tausenden verschiedenen »Sprachen« und Dialekten. Sprache ist weit größer als der Mensch. Sie stellt sich uns Menschen bedingungslos zur Verfügung. Alles macht sie mit. Sie lässt sich verbiegen, benutzen und ist jederzeit imstande, dem Menschen ein Ausdrucksforum zu bieten, welches ihm ermöglicht, über sich hinauszugehen. SPRACHSTILE Eine Kostprobe: Der französische Dichter und Schriftsteller Raymond Queneau hat eine kleine alltägliche Geschichte in 99 verschiedenen Sprachstilen verfasst (Raymond Queneau: »Stilübungen«). Einige Eindrücke am Beispiel des ersten Satzes: Erzählung: Eines Tages gegen Mittag erblickte ich auf der hinteren Plattform eines fast besetzten Autobusses der Linie S eine Person mit sehr langem Hals, die einen umrandeten weichen Filzhut trug. Angaben: Im Autobus der Linie S, zur Hauptverkehrszeit. Ein Kerl von etwa sechsundzwanzig Jahren, weicher Hut mit Kordel anstelle des Bandes, zu langer Hals, als hätte man daran gezogen. Alexandriner: In einem Obus S erblickte eines Tages ich einen Jämmerling, ich weiß nicht welchen Schlages, der quengelte, obgleich um seinen Turbanrand er eine Kordel trug anstatt ein schmuckes Band. Und dieser junge Mann mit übermäßigem Hals aus dem es faulig stank, geschmacklos bestenfalls … Icke: Icke, icke ne, ha was vorn paar Tarn uff da hintern Plattform von eem Autobus S jesehn. Icke, ick fand den Hals von dem jungen Knülch n bißken lang und et Dinge, det aussah wie ne Kordel un wo er um sein Hut rum hatte, nee, det fand ick ja ooch verdammt ulkig … 1 Wenn in den Ausführungen vom Sprecher die Rede ist, sind selbstverständlich beide Geschlechter gemeint. SPRECHEN UND SPRACHE 3

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