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Teil 11/12: Naturwissenschaften

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Anthroposophische Perspektiven - In dieser Aufsatzreihe stellen Autoren beispielhaft Perspektiven der Anthroposophie auf das Lebensgebiet ihrer Berufspraxis vor.

Aber welche Rolle spielt

Aber welche Rolle spielt dabei das Freud’sche Ich? Dieses Alltags-Ich bemerkt bei einiger Bestandsaufnahme, dass es von vielen Antrieben mitbestimmt wird, die es oft nicht wahrhaben will und zum Selbstschutz lieber verdrängt. Doch das bekommt auf die Dauer nicht. Der Umgang mit sich selbst ist eine Lebenskunst, um sich und andere einschätzen und schätzen zu lernen. Das trifft zum Beispiel auf jeden erzieherischen Beruf zu. So machte Rudolf Steiner als Begründer der Waldorfschulpädagogik bald die von ihm zusammengerufenen Lehrer darauf aufmerksam, dass in jedem Menschen ein zweiter »sitzt«, von dem man als moderner Mensch wissen müsse. Anhand einer Krankengeschichte aus der Feder von C. G. Jung machte er auf die Raffinesse und Intriganz dieser Tiefen und Untiefen aufmerksam: »Und dieses Unterbewusstsein des zweiten Menschen, der im Menschen sitzt, ist oftmals viel raffinierter als der Mensch in seinem Oberstübchen … In jedem Menschen sitzt unten, gleichsam unterirdisch, der andere Mensch. In diesem anderen Menschen lebt auch der bessere Mensch, der sich immer vornimmt, bei einer Handlung, die er begangen hat, in einem ähnlichen Falle die Sache das nächste Mal besser zu machen« (GA 293, Seite 67 ff.). Das ist eine weittragende Entdeckung: In unserem Wachbewusstsein kennen wir einigermaßen den Unterschied von Gut und Böse, von Besser und Schlechter. Im Unterbewussten ist aber die Spannung zwischen beiden weitaus größer. Das Fragwürdige und das Bessere in uns sind dort noch viel prägnanter vorhanden und setzen sich noch viel dramatischer auseinander. Die Heftigkeit der Kriegsführung miteinander ist hier noch sehr viel größer und würde uns gewaltig den täglichen Seelenfrieden stören, wenn wir das Unbewusste jederzeit im Bewusstsein haben könnten. Deshalb sind wir erst einmal davor geschützt, indem diese Gefilde gewöhnlich unbewusst bleiben. Doch das eben macht die Moderne aus, einiges, was unbewusst da ist, bewusst zu bekommen. Freud sah weitgehend nur die dunkle Seite darin, Jung ahnte die helle Seite davon, Steiner beschrieb sie gezielt: Wir können nie mit uns gänzlich zufrieden sein. Gerade das macht uns entwicklungsfähig. Ist das nicht eine wertvolle, dankbar begrüßenswerte Entdeckung in der Tiefenpsyche? Sie kränkt durchaus nicht, sondern bringt uns weiter. Wir tragen nicht nur unser Tages-Ich mit seinen eingefahrenen Rollen mit uns herum, sondern jeder in sich noch einen versteckten Menschen, der das unverbrüchliche Recht auf Menschenwürde gewährleistet: Unser wahres Selbst. Wir besitzen ein öffentlich gespieltes und ein unauffälliges wahres Ich. Freuds Vorstoß in die Tiefenpsyche ist also gar kein Anlass, über sich selbst persönlich gekränkt zu sein, sondern ganz im Gegenteil: Eine erweiterte Selbsterfassung gehört zur schönsten, weil sozialsten Entdeckung der Moderne. Sozialverhalten wird dann nicht mehr von außen vorgeschrieben oder durch Konditionierung eingeschliffen. Erst die in den eigenen Tiefenschichten selbst entdeckte freimotivierte Selbstlosigkeit hilft tatsächlich. Wer fühlt sich heute noch gekränkt? Der Autor jedenfalls durch alle drei neuzeitlichen Entdeckungen nicht. Früher bestand die Schulung des Denkens in der Auflösung langer Satzperioden griechischer und lateinischer Schriftsteller. Zu viel selbstständigerem Denken führt jede gute methodische Bildung an den Naturwissenschaften. Das muss auch von den Naturwissenschaftlern selbst erst wieder entdeckt werden, dass sie von hohem Bildungswert sind. Sie stärken – recht betrieben – Wahrnehmungsfreude, Wahrheitsstreben, Selbstkontrolle und umsichtiges, welttaugliches Denken. DER AUTOR Prof. Dr. Wolfgang Schad, geboren 1935 in Biberach, Studium der Biologie, Chemie und Physik in Marburg und München, der Pädagogik in Göttingen. Lehrer an der Waldorfschule Pforzheim von 1962 – 75, Dozent am Seminar für Waldorfpädagogik sowie am Freien Hochschulkolleg in Stuttgart von 1975 – 91, 1992 Berufung auf den neu geschaffenen Lehrstuhl für Evolutionsbiologie und Morphologie der Universität Witten / Herdecke, heute emeritiert. Zahlreiche Veröffentlichungen, unter anderem »Säugetiere und Mensch« 1971 und vier Sammelbände »Goetheanistische Naturwissenschaft« von 1982 – 85. LESE-TIPPS: Schad, Wolfgang: »Goethes Weltkultur«, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2007. Ders. (Hrsg.): »Naturwissenschaft heute im Ansatz Goethes«, Verlag Johannes Mayer, Stuttgart/Berlin 2008. Ders. (Hrsg.): »Evolution als Verständnisprinzip in Kosmos, Mensch und Natur«, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2009. Ders.: »Säugetiere und Mensch. Studien zur Gestaltbiologie«, 2 Bände, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart (voraussichtlich 2012). 8 Eine Publikation von

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