Nachhaltigkeitsbericht 2019 /20 Im Gespräch mit Götz E. Rehn Herr Rehn, Sie haben Alnatura vor mehr als 35 Jahren mit der Vision Sinnvoll für Mensch und Erde gegründet. Ist diese Vision heute noch zeitgemäß? Sie ist heute aktueller und wichtiger als vor 35 Jahren! Wir erleben, dass unsere Gesellschaft im Wesentlichen von der Wirtschaft mit ihrem Paradigma des Erfolgs bestimmt wird. Für anstehende dringliche Themen wie den Klimawandel muss statt Erfolg der Sinn für den Menschen im Mittelpunkt stehen: Die Wirtschaft soll dem Menschen dienen, indem sie ihm beispielsweise menschenwürdige und erfüllende Arbeit bietet und sinnvolle Produkte bereitstellt – etwa Bio- Produkte, die im Anbau viel weniger klimaschädigende Treibhausgase freisetzen. Auch die Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals) der Vereinten Nationen zeigen, wie aktuell die Alnatura Vision Sinnvoll für Mensch und Erde ist: Ziel 8 fordert menschenwürdige Arbeit und Ziel 4 hochwertige Bildung für die Menschen. Ziel 13 dreht sich um Maßnahmen für den Klimaschutz. Und: Die Agenda 2030 der Bundesregierung strebt 20 Prozent Bio-Landbau in Deutschland an mit der Begründung, dass er eine besonders ressourcenschonende und umweltverträgliche Wirtschaftsform ist. 2019 startete bei Alnatura das Projekt Neue Zusammenarbeit, und die Zentralmitarbeitenden bezogen am neuen Unternehmenssitz in Darmstadt die Alnatura Arbeitswelt. Was ist für Sie die Verbindung zum Alnatura Leitgedanken Sinnvoll für den Menschen? Um einen Richtungswechsel in der Wirtschaft zu erreichen und den Menschen in ihren Mittelpunkt zu stellen, gilt es, nachhaltige Denk- und Arbeitsweisen umzusetzen. Für die Zukunft von Unternehmen bedeutet das, die Zusammenarbeit neu zu organisieren. Unsere Initiative Neue Zusammenarbeit bildet einen Schwerpunkt in der Ausrichtung von Alnatura. Wir haben uns vorgenommen, mit dieser Initiative, die Kooperation zwischen den Kolleginnen und Kollegen in den Märkten sowie am Unternehmenssitz und zwischen allen Beteiligten offener, agiler und selbstverantwortlicher zu gestalten. Außerdem können wir eine noch bessere Nähe zu unseren Kundinnen und Kunden erreichen, denn wir wollen deutlich mehr Entscheidungen in die Hände unserer Teams in den Märkten legen: von den Einsatz- und Urlaubsplänen der Mitarbeitenden bis hin zu Preisentscheidungen im Obst- und Gemüsebereich. Das bedeutet neben praktischer Wissensvermittlung sehr viel soziale Innovation und viel fältige neue Lernmöglichkeiten für jeden Mitarbeitenden. Darüber hinaus sind wir davon überzeugt, dass insbesondere durch soziale Innovationen mittelständische Unternehmen in dem sehr kompetitiven Umfeld des deutschen Lebensmittelhandels eine Chance auf Profilierung und Differenzierung haben. Unser neues Büro, die Alnatura Arbeitswelt, schafft die räumlichen und organisatorischen Voraussetzungen für die Neue Zusammenarbeit: Sie stärkt das vernetzte und flexible Arbeiten zwischen den Mitarbeitenden. Darüber hinaus ist die Alnatura Arbeitswelt ein Beispiel für ganzheitliches Denken und Handeln, wie wir es bei Alnatura stets anstreben. Unserer Auffassung nach hat Nachhaltigkeit vier Dimensionen: eine ökonomische, eine ökologische, eine soziale und eine – über den „Standard“ hinaus gehende – ganz wesentliche, die geistig-kulturelle. Die Arbeitswelt ist wirtschaftlich gesehen mit einem günstigen Quadratmeterpreis realisiert worden. Ökologisch erhielt das Alnatura Gebäude die Bestnote Platin von der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen und den Deutschen Nachhaltigkeitspreis Architektur. Sozial und geistigkulturell fördert die Arbeitswelt Kernelemente der Alnatura Unternehmenskultur. Schließlich ist es uns gelungen, ein sehr ästhetisches Gebäude zu gestalten. Alnatura handelt seit der Unternehmensgründung ausschließlich mit Bio-Lebensmitteln. Welche weiteren aktuellen Beispiele zeigen, dass Alnatura sinnvoll für die Erde ist? Weniger Rohstoffverbrauch und umweltfreundliche Materia lien stehen auch bei Alnatura im Mittelpunkt. Wir haben entschieden, bis 2025 zu 100 Prozent kreislauffähige Alnatura Verpackungen einzusetzen und 50 Prozent Recyclinganteil bei Alnatura Papierund PET-Verpackungen zu erreichen. Dabei sind sowohl Umweltals auch Produkt schutz zu berücksichtigen. In unseren Märkten werden wir schon 2020 das Obst und Gemüse weitgehend verpackungsfrei anbieten – „nur“ weitgehend, weil etwa für Beeren eine schützende Verpackung unerlässlich ist. Das Angebot anderer unverpackter Artikel, beispielsweise Nüsse oder Waschmittel, weiten wir nach ersten Tests allmählich aus. Für den Transport streben wir Mehrweg- und Pfandkisten an. Logistisch ist das immer wieder eine Herausforderung. 4
Nachhaltigkeitsbericht 2019 /20 In Bezug auf Tierwohl ist Alnatura durch die Bruderküken-Initiative bekannt geworden: Seit Oktober 2017 bieten wir unter der Marke Alnatura nur noch Eier von Legehennen an, deren Brüder mit aufgezogen werden. Seitdem führen wir Alnatura Produkte ein, in denen Fleisch aus Bruderhahn-Aufzucht verwendet wird, beispielsweise im Alnatura Hühner- Nudel-Topf. 2019 haben wir die ersten verarbeiteten Produkte mit Eiern aus Bruderküken-Aufzucht auf den Markt gebracht, etwa Dinkel-Eierwaffeln. Indem wir solche besonderen ganzheitlichen Ansätze verständlich an unsere Kundinnen und Kunden kommunizieren, können wir uns auch künftig in einem Marktumfeld differen zieren, in dem Bio-Produkte – auch in Bio-Verbandsqualität – zunehmend in Supermärkten und Discountern zu finden sind. Das ist entscheidend, denn umso mehr Menschen sich mit Alnatura ver binden, desto besser bewirken wir Sinnvolles für Mensch und Erde. Unsere Umsatzentwicklung seit dem Geschäftsjahr 2017/18 zeigt, dass unsere Partner Edeka, Müller und Rossmann sowie viele weitere Lebensmitteleinzelhändler im europäischen Ausland mit der Marke Alnatura neue Kunden gewinnen und den Bio-Landbau stärken. 2021 tritt die neue EU-Öko-Verordnung in Kraft. Welche Herausforderungen birgt dies für Alnatura? Die neue Verordnung sieht vor, dass schon beim Fund geringster Pestizidspuren im Bio-Produkt, etwa durch Abdrift konventioneller Pflanzenschutz- und Düngemittel von Nachbarfeldern, die Vermarktung sofort gestoppt wird. Umfassende Prüfungen müssen auf den Weg gebracht werden. Das kostet Zeit und es kann zur Vernichtung von Bio-Lebensmitteln führen. Sie haben Alnatura vor rund 35 Jahren gegründet und sind bis heute als Geschäftsführer tätig. Wie ist Ihre Nachfolge geregelt? Damals habe ich als Alleingeschäftsführer die Alnatura Produk tions- und Handels Gesellschaft geführt. In den Jahren 2017, 2018 und 2019 erweiterten wir die Alnatura Geschäftsführung um jeweils eine Persönlichkeit, sodass wir nun fachlich breit und gut aufgestellt sind. Die Zukunft des Unternehmens ist damit vorbereitet, was die weitere Führung von Alnatura anbelangt. Schon vor einigen Jahren habe ich die gemeinnützige Alnatura Stiftung und die Götz E. Rehn Stiftung gegründet, deren Vorstände wie Beiräte fungieren und daran mitwirken werden, dass Alnatura langfristig bestehen und an der Unternehmensvision ausgerichtet bleibt. Darauf arbeiten wir auch intern hin, beispielsweise indem wir die Unternehmenswerte nochmals bewusster pflegen – über Seminare und Veranstaltungen ebenso wie in unserem täglichen Tun. Welche weiteren Prioritäten sehen Sie für Alnatura in den kommenden Jahren? Als ausschließlich mit Bio-Lebensmitteln befasstes Unternehmen steht bei uns natürlich die konsequente Weiterentwicklung von Bio-Anbauflächen im Vordergrund. Das gewährleisten wir durch die Alnatura Bio-Bauern-Initiative gemeinsam mit dem NABU. Durch diese Initiative wurden bis Februar 2020 13 600 Hektar auf Bio-Landbau umgestellt beziehungsweise sind in Umstellung. Da der Bio-Landbau eine wesentliche Unterstützung bei der Erreichung der Klimaziele ist, wollen wir uns im Hinblick auf die Agenda 2030 auf diese Kernaufgabe in allen Dimensionen intensiv konzentrieren. Herr Rehn, vielen Dank für das Gespräch. Die Fragen stellte Stella Eichhorst, Bereich Recht und Nachhaltigkeit. 5
Laden...
Laden...
Laden...