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Alnatura Magazin Oktober 2019

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Alnatura Bio-Bauern-Initiative // Naturkosmetik-Spezial // Warenkunde: Kürbisvielfalt

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG FAMILIE Unser täglich vergessenes Brot Das Pausenbrote-Paradox: Sie werden gewollt, aber nicht unbedingt gegessen. Werden sie sommerferienlang vergessen, entsteht neues Leben. Ein Heft für Kinder – und ihre Eltern! Mehr Ideen und Anregungen finden Sie im Magazin »Süddeutsche Zeitung Familie«, das es ab jetzt am Kiosk oder im Abo zu kaufen gibt! »Süddeutsche Zeitung Familie« besteht aus zwei Teilen, einem für Kinder und einem für Erwachsene. Die Hefte können nebeneinander und miteinander gelesen werden. Das Kinderheft eignet sich für Kinder ab vier Jahren und ist komplett werbefrei. Es war, so, glaube ich, kann man es sagen, ein einmaliges sinnliches Erlebnis. So vorher noch nie da gewesen, die finale Stufe einer sich schon länger abzeichnenden Entwicklung. Zuerst wurde eine vertrocknete Salami- Semmel mit zermanschter und leicht säuerlich riechender Minitomate daneben präsentiert, drei Tage in den Tiefen des Schulranzens gelagert und Montagmorgen rausgefischt. Es folgten weitere Wochenende-Ende-Brotzeitvarianten, die aber noch gesteigert wurden durch Faschingsferien (eine Woche), Osterferien (zwei Wochen) sowie Pfingstferien (zwei Wochen), nach denen jeweils eines der drei Kinder mit leicht schuldbewusstem Blick in die Küche kam, in der Hand eine schon etwas modrig riechende Brotzeitbox. Aber immerhin, es war noch zu erkennen, was dort wenige Wochen zuvor liebevoll in der Vor-Schule-Halbestunde am Morgen geschmiert, geschnitten und in Butterbrotpapier gewickelt worden war. Ein Toastbrot mit zartgrünem Schimmel an der Kante. Der Löcher-Käse darunter: noch erstaunlich fit. Ein eingeschrumpelter Karottenrest. Ein angeknabbertes Apfelstück. Wir hielten grundsätzliche Ansprachen, schwankend zwischen Vorwurf und Appell, was man halt so macht: »Das kann doch nicht so schwer sein, das Pausenbrot … das ist Essen! … die Kinder in Afrika …« Und dann kamen die Sommerferien. Die im Sommer 2018. Der, wie sich der eine oder andere vielleicht noch erinnern kann, ein sehr heißer Sommer gewesen ist, was – siehe Kasten auf der rechten Seite – die Entwicklung von Schimmel noch beschleunigt. Am letzten Ferientag beugte sich das mittlere Kind über seinen schwarzen Rucksack wie ein kleiner süßer Waschbär und verteilte in Waschbärenart den Inhalt auf dem Teppich des Kinderzimmers. Alte Mathehefte mit Eselsohren. Angenagte Bleistifte. Irgendwelche »Schule & wir«-Hefte, die nie einer liest. Und: eine durchsichtigblaue Brotzeitbox, zuletzt geöffnet im Juli, gefüllt mit einer dunklen, anscheinend leicht zähflüssigen Masse, die sich bewegte, wenn man die Box schief hielt. Wohnte darin ein Tier? Oder womöglich eine zeitgemäße Version des in meiner Jugend allgegenwärtigen Hermann- Teigs, Eingeweihte wissen Bescheid? Ich erinnerte mich an eine Zeitungsmeldung im vorherigen Sommer, in der über ein vergessenes Pausenbrot berichtet worden war, das dafür gesorgt hatte, dass in einen Garten in Baden-Württemberg 54 Feuerwehrmänner mit Atemschutzvorrichtungen eingerückt waren. Ein Mann hatte einen Behälter im Garten geöffnet, es kam eine Rauchwolke heraus, er verspürte Hautreizungen. Es stellte sich heraus, wie es in der Polizeimeldung hieß, dass es sich um ein vor sichtbar längerer Zeit liegen gelassenes »Vesperbrot« gehandelt haben musste. Tapfer öffneten auch wir unseren Behälter. Es kamen keine Rauchwolken heraus. Aber sollte jemand ein Instantmittel brauchen, das Würgereiz hervorruft: Hier wäre es. Das Waschbär-Kind gab einen Quietsch laut

Woche 1 Woche 2 Woche 3 Woche 4 von sich, irgendwas zwischen »Ihhhhh« und »Ähhh«. Die Masse war braun, ins Weinrote kippend. Mit ein wenig Einbildung blubberte sie, aber das war wirklich nur Einbildung, vermutlich weil der Geruch, der davon ausging, so etwas widerwärtig Sumpfiges ausströmte. Woche 5 Woche 6 Nun ist es mit Pausenbroten so: Eltern wünschen sich, dass ihre Kinder eines in der Schule dabeihaben, damit sie sich dort stärken können und ja nicht in den Unterzucker fallen. Kinder wiederum fordern es ein, weil es auch eine morgendliche Geste der Zuwendung ist. Manchmal sind leckere Sachen darin (Butterkäse! Heidelbeeren! Schokolade!), manchmal eher nicht so (Dinkel-Knäckebrote, Datteln). Manchmal kommt die Box genauso vollbeladen wie am Morgen wieder nach Hause. Und ganz manchmal entsteht darin Leben, Pilze verteilen sich, Sporen setzen sich fest, der Schimmel wächst. Das ist das Pausenbrote-Paradox: Sie werden gewollt, aber eben nicht unbedingt gegessen. Immerhin ist es nicht uninteressant, was kleine Mikro organismen in wenigen Tagen schaffen, manchmal sieht es geradezu schön aus. Das Prinzip Kompost für Stadtkinder, ein Wunder der Natur, das aber von mir aus seltener eintreten könnte. Auf dem Balkon, es wehte zum Glück ein leichter Wind, inspizierten wir den Inhalt des unfreiwilligen Experiments und versuchten, Hinweise auf den ursprüng lichen Inhalt zu entdecken. Waren da nicht Reste einer Bananenschale? Teile eines Sonnenblumenbrots? Käse mit seiner wächsernen roten Schale würde man noch sehen. Wir betrachteten die undefinierbare Masse. Und dann sagte eines der Kinder: »Von der Form her sieht es gerade aus wie eine tote Ratte.« ››› Gastbeitrag Mareen Linnartz Experiment: Was passiert in einer Brotzeitdose, die sechs Wochen verschlossen Sommerferien macht? Phase 1: Einfall Noch sehen Brot mit Kichererbsenaufstrich, Apfelstück und Gummi-Frosch sehr appetitlich aus. Trügerisch! »Schimmel ist oft weder zu sehen noch zu riechen«, sagt Nicole Lorenz vom Bundesinstitut für Risikobewertung. Phase 2: Zerfall Es gibt mehr als 100 000 Arten von Schimmel. Je poröser die Oberfläche, desto besser kann der Schimmel sich verbreiten – weswegen das Brot nun schon recht grün ist, aber der Frosch noch frisch leuchtet. Auch Wasser wie im Apfel fördert Schimmel. Schimmel wächst, bis er keine Nahrung mehr findet. Im Fall einer verschlossenen Brotdose dürfte das ein paar Wochen dauern, schätzt die Expertin. Phase 3: Verfall Kälte bremst das Schimmel-Wachstum, Wärme beschleunigt es. Diese Brotzeitbox wurde bei Zimmertemperatur gelagert. Schimmel verursacht kaum Gase, insofern kann eine Brotzeitdose nicht platzen, aber der Zerfall von Frosch-Apfel-Brot ist weit fortgeschritten. Auch wenn die verwertbaren Nährstoffe aufgebraucht sind, kann der Schimmel noch mehrere Jahre in Form von Sporen überleben. Fotos: Nikita Teryoshin / Entsorgung Schimmelexperiment: Jens-Christian Rabe Alnatura Magazin Oktober 2019 47

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