ALNATURA BEWEGT Dr. Anita Idel arbeitete als praktische Tierärztin für Rinder in Deutschland und in Frankreich, war 1986 Mitbegründerin des Gen-ethischen Netzwerks (GeN), von 2005 bis 2008 Leadautorin des UN-Weltagrarberichtes (IAASTD) und lehrt an verschiedenen Universitäten. 2010 erschien ihr Buch »Die Kuh ist kein Klima-Killer!«. Alnatura trifft Dr. Anita Idel 12 Alnatura Magazin März 2024
ALNATURA BEWEGT Warum Kühe keine Klimakiller sind Als Tierärztin, Agrarwissenschaftlerin und auch als Mediatorin setzt sich Dr. Anita Idel seit Jahrzehnten öffentlich und politisch für die Ökologisierung der Landwirtschaft ein. Weltweit zeigt sie auf, wie nachhaltige Weidehaltung die Bodenfruchtbarkeit fördert und dadurch zur Begrenzung des Klimawandels und zur biologischen Vielfalt beitragen kann. Für ihr Engagement erhielt sie 2023 den Ehrenpreis der Heinz-Sielmann-Stiftung. »Die Kuh ist kein Klima-Killer!« von Dr. Anita Idel. 2022 in der neunten Auflage im Metropolis- Verlag erschienen und für 19,80 Euro erhältlich. Frau Dr. Idel, schon 2010 erschien die erste Auflage Ihres Buches »Die Kuh ist kein Klima-Killer!«. Seit wann und warum haftet der Kuh ein solches Stigma an? »Ob Indien, Mali oder Deutschland: Durch die Koevolution zwischen Weideland und Weidetier entwickelten sich weltweit während Jahrtausenden viele Gesellschaften als Rind-Mensch-Kulturen. Nun steht die Kuh am Klima-Pranger. Das ist absurd, aber kein Zufall. Denn seit Jahrzehnten wird sie in der Forschung weitgehend auf das Methan reduziert. Ja, Methan ist seit der frühen Erdgeschichte ein Klimagas und Rinder rülpsen seit mehr als einer Million Jahren Methan. Aber: Der Klima-Killer ist immer der Mensch! Derweil profitieren Energiekonzerne und die agro-chemische Industrie mit ihrer energieaufwendigen Produktion von chemischsynthetischem Dünger, Pestiziden etc. von dieser Anti-Kuh-Kampagne. Das ist unwissenschaftlich.« Warum unwissenschaftlich? »Erstens geht es nicht um das Methan an sich. Das Problem ist das Zuviel in der Atmosphäre. An den Klima-Pranger gehört die fossile Industrie! Zweitens wird die Kuh nicht daran gemessen, was sie fantastisch kann – nämlich Gras und Raufutter ver wer ten. Sie war nie unsere Nahrungskonkurrentin. Aber bei der Züchtung auf Hochleistung zählen nur Liter Milch oder Kilogramm Fleisch. Das erfordert Äcker für Futterpflanzen wie Getreide, Mais und Soja. Dafür wird Grasland umgebrochen und Wald gerodet. Und drittens die Böden. Wer weiß schon, dass Kühe durch nachhaltige Beweidung die Bodenfruchtbarkeit und die biologische Vielfalt sogar erhöhen und das Klima entlasten können.« Das müssen Sie bitte näher erläutern. Die Kuh auf der Weide hat einen positiven Klimaeffekt? »Genau. Der Biss der Kuh löst bei den Gräsern einen Wachstumsimpuls aus. Durch mehr Fotosynthese – die Aufnahme von CO 2 – entsteht oberirdisch und unterirdisch mehr Pflanzenbiomasse. Aus den Wurzeln und ihren Exsudaten, also Ausscheidungen von Substanzen, entsteht letztlich der Humus von morgen. Da er zu mehr als 50 Prozent aus Kohlenstoff besteht, entlastet jede Tonne Humus die Atmosphäre um 1,8 Tonnen CO 2 , was 1 000 Kubikmeter Erdgas entspricht. Weltweit speichern bei vergleichbarer Gesamtfläche die Grasland-Ökosysteme mehr Kohlenstoff als die Wald-Ökosysteme. Das ist das Wunder der Koevolution zwischen den Kühen und dem Grasland. Alle anderen Pflanzen wollen nicht gebissen werden. Viele verbrauchen reichlich Energie, um sich mit Dornen, Stacheln, Bitterstoffen dagegen zu wehren. Das eigentliche Wunder der Koevolution: Ausgerechnet die Gräser, die regelmäßig gefressen oder gemäht werden, sind weltweit am erfolgreichsten, denn keine Pflanzengesellschaft bedeckt mehr Landober fläche.« Haben Bäume nicht viel mehr Wurzeln in den Böden? »Ja, aber entscheidend ist die Qualität, nicht die Gesamtmasse. Gräser verfügen über besonders viele Feinwurzeln. Daher rührt ihr außerordentliches Potenzial zur Bodenbildung. Weltweit speichern die Graslandböden sogar 50 Prozent mehr Kohlenstoff als die Waldböden. Ob in Nordamerika, der Ukraine oder der hessischen Wetterau – die fruchtbarsten Ebenen der Welt, die Kornkammern, sind das Ergebnis der Koevolution von Weidetier und Grasland.« Wenn die Vorteile der Weidehaltung so klar auf der Hand liegen, warum ist sie nach wie vor rückläufig? Im Jahr 2024 darf in Deutschland nur noch ein Drittel der Kühe auf die Weide … »Der Grund liegt im kranken Agrarsystem. Eines der zentralen Ergebnisse des Weltagrarberichtes lautet: Ob Tiere, Böden oder Klima – ohne Verursacherhaftung für die Schäden rentiert sich nachhaltige Landwirtschaft viel zu wenig für die Bäuerinnen und Bauern. ›Wahre Preise‹ sind ein Muss, dann böte Bio die günstigsten Preise.« Und was bedeutet das für die Weidehaltung? »Nachhaltige Beweidung erfordert Zeit, sie ist viel aufwendiger, als morgens die Stalltür auf- und abends wieder zuzumachen! Aber Forschung und Ausbildung konzentrieren sich auf Kraftfutter, machen die Kuh zur Nahrungskonkurrentin. Erforderlich ist Weidemanagement als Ausbildungsberuf – dabei geht es mir besonders um die Züchtung auf Tiergesundheit, das Kuhflüstern und die Pflanzenvielfalt.« Was wünschen Sie sich für die Zukunft und was macht Ihnen Mut? »Tierische Produkte – nur von der Weide! Mein Motto: Denken und Handeln in fruchtbaren Landschaften. Dafür brauchen wir altes und neues Erfahrungswissen, einen langen Atem – und die Kuh! Mut machen mir die vielen Menschen, die sich bereits auf den Weg gemacht haben.« Das Gespräch führten Dr. Christina Well und Anja Waldmann. Alnatura Magazin März 2024 13
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