ALNATURA TRIFFT Nina Wolff I m Jahr 1986 eröffnete die Fast-Food-Kette McDonald’s eine Filiale auf der von antiken und barocken Gebäuden umgebenen Piazza Spagna in Rom. Als Protest dagegen organisierte der Journalist und Publizist sowie spätere Gründer der Slow-Food-Bewegung Carlo Petrini ein öffentliches Spaghetti-Essen an der Spanischen Treppe. Und Demonstrierende skandierten: »Unser Fast Food wurde schon vor 2 000 Jahren geboren und es heißt Pizza!« Frau Wolff, ist die Slow-Food-Bewegung eine direkte Antwort auf die Fast-Food- Bewegung? »Zum Teil. Es war tatsächlich noch einmal ein Anstoß, das bereits existierende Gedankengut eines kleinen Freundeskreises in eine Bewegung zu übersetzen. Eine Gemeinschaft von Menschen zu begründen, die wollten, dass Essen wieder so schmeckt, wie es früher einmal geschmeckt hat. Carlo Petrini erzählt immer sehr eindrücklich, dass die Gerichte bei seiner Mutter oder Oma auf einmal nicht mehr ihren typischen Geschmack hatten. Die Landwirtinnen und Landwirte hatten zum Teil auf Druck des Handels alte Sorten gegen effizientere Sorten ausgetauscht und Ähnliches. Petrini forderte, dass unser Essen wieder richtig gut sein sollte. Das war sein Ansatz.« Vorsitzende von Slow Food Deutschland Wir treffen Dr. Nina Wolff, Vorsitzende von Slow Food Deutschland und Mitglied im internationalen Vorstand der weltweit aktiven Bewegung, in Berlin-Dahlem zum Gespräch. Es geht um gute, saubere und faire Lebensmittel; um Lebensmittel, die so schmecken sollten, wie sie einst schmeckten, und um die Perspektiven der Ernährung von über acht Milliarden Menschen auf dem Planeten Erde. Erzählen Sie uns mehr über Carlo Petrini. »Carlo Petrini ist ein sehr inspirierender Mensch, aber auch ein sehr inspirierter. Für ihn soll Essen gut, sauber und fair sein. Er hat es geschafft, dass sich alle zwei Jahre Hunderte von ländlichen Erzeugerinnen und Erzeugern in Turin treffen und eine Plattform für den Handel, aber auch für Restaurants und Interessierte bilden: beim Salone del Gusto (Salon des Geschmacks). In Pollenzo hat er die gastronomische Università di Scienze Gastronomiche begründet. Er denkt stark nach vorne und versteht es, die Menschen dabei mitzunehmen. Im Sommer 2022 hat er die Leitung unserer in über 160 54 Alnatura Magazin Juli 2023
ALNATURA TRIFFT Slow Food Deutschland e.V. Italien € 9,50 | Belgien € 8,50 | Schweiz CHF 11,40 | Öste reich € 8,40 | Luxemburg € 8,50 03_04 | 2023 JULI/AUGUST/SEPTEMBER | Deutschland € 7,50 03_04 | 2023 GENUSS & VERANTWORTUNG ERFURT CIDER HIRSE SLOW IM ALLTAG SAATGUT Ländern engagierten Organisation abgegeben. An ihrer Spitze steht nun ein junger afrikanischer Agrarwissenschaftler: Edward Mukiibi. Unterstützt wird er durch ein neues internationales Vorstandsteam mit meist noch sehr jungen Mitgliedern von allen Kontinenten.« … von dem Sie ein Teil sind. Was ist heute anders als 1989, dem Gründungsjahr der internationalen Bewegung? »Die Art, wie wir ›gut‹, ›sauber‹ und ›fair‹ mit Leben, Werten und Genuss füllen. Am Anfang der Bewegung drehte sich viel um den unverfälschten Geschmack, um die einmalige Qualität. Die Umwelt und auch Fragen der Gerechtigkeit sind für Slow Food über die Jahre sehr viel bedeutender geworden. Gute Ernährung sollte allen Menschen zur Verfügung stehen. Wie die Ernährung der Zukunft aussehen wird, beschäftigt uns sehr. Grundsätzlich denken wir, dass unsere Speisepläne sich anpassen und sehr viel pflanzenbetonter sein müssen und auch können. Das muss weder heißen, komplett auf Fleisch oder Fisch zu verzichten, noch dass traditionelle Rezepte verloren gehen. Sondern, dass wir eine neue Gewichtung brauchen: 80 Prozent Pflanzliches und nur 20 Prozent Fleisch, Fisch und Milcherzeugnisse auf dem Teller. Das ist der Weg in Richtung Gesundheit und Gesundung von Mensch und Tier, Umwelt und Planet.« Sechsmal im Jahr erscheint das Slow-Food-Magazin mit Themen zu Genuss und Verantwortung. Für Mitglieder oder im Zeitschriftenhandel. »Das Leben entschleunigt automatisch, wenn ich mich mit meiner Ernährung beschäftige.« SLOW FOOD CHECK NATURJOGHURT SAISONKÜCHE HIRSE SF_03_04_23_Titel_DRUCK.indd 3 30.05.23 10:36 Wie sieht Ihre Arbeit konkret aus? »Die Erholung der biologischen wie kulturellen Vielfalt zählt zu den großen Zielen von Slow Food. Mit unserer Netzwerkarbeit, unseren Bildungsprojekten sowie im Austausch mit Politik und Wirtschaft engagieren wir uns für eine Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion, die im Einklang mit unseren Ökosystemen, dem Tierschutz, der Wiederbelebung von ländlichen Regionen und unserer Ernährungskultur steht. Mit Messen, Märkten und Verkostungen versuchen wir, Verbraucherinnen und Verbraucher für Vielfalt und für Wertschätzung gegenüber Erzeugerinnen und Erzeugern zu begeistern. Dass Menschen wieder den Bezug zum Essen herstellen, ist eine zentrale Voraussetzung für das Gelingen der Ernährungswende. Wir betreiben Ernährungs- und Geschmacksbildung für Kinder, Jugendliche und Erwachsene sowie Trainingsprogramme für Nachwuchskräfte. Zentral ist natürlich, dass wir neue, nachhaltige Rahmenbedingungen in Politik und Handel brauchen – dafür treten wir im Austausch mit Politik und Wirtschaft ein. Köchinnen und Köche des Slow- Food-Netzwerks Chef Alliance unterstützen dabei, die politischen Forderungen kulinarisch zu übersetzen. Ihre Restaurants und Lokale sind mehr als ›nur‹ Orte des Essens und Genießens: Sie sorgen für soziales Miteinander, sind kulinarische Schaufenster einer Region und haben das Potenzial, der Ernährungswende eine wichtige Heimat zu geben.« Slow Food wurde 1986 vom Journalisten und Soziologen Carlo Petrini in Italien gegründet. Der internationale Verein besteht seit 1989. Die anfänglichen Ziele, für kulinarischen Genuss und ein moderates Lebenstempo einzutreten, verfolgt Slow Food weiterhin. Es erwuchs jedoch bald die Einsicht, dass Genuss und Verantwortung Hand in Hand gehen, dass ökologische und handwerkliche Erzeugung und eine gesunde Umwelt unerlässlich für die Gesundheit von Mensch und Planet sind. Slow Food hat sich daher zum Ziel gesetzt, eine Ernährungswelt zu schaffen, die auf fairen Beziehungen basiert, die biologische Vielfalt, das Klima und die Gesundheit fördert und es allen Menschen ermöglicht, ein Leben in Würde und Freude zu führen. Slow Food Deutschland wurde 1992 gegründet und ist mit Projekten, Kampagnen und Veranstaltungen auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene aktiv. slowfood.de Slow Food hat 100 000 Mitglieder in über 160 Ländern. Was bringt mir eine Mitgliedschaft? »Mit einer Mitgliedschaft werden Interessierte zunächst einmal Teil einer weltweiten Gemeinschaft, die sich für gesundes und gerechtes Essen einsetzt. Jede und jeder kann für sich entscheiden, unsere Projekte, Kampagnen und Veranstaltungen rein finanziell zu unterstützen oder sich in unseren Convivien auch aktiv einzubringen. Das birgt viel Möglichkeit für Austausch, Lernen, Genuss und Freude. Mit rund 87 Convivien, den Regionalgruppen, ist Slow Food in weiten Teilen Deutschlands vertreten. Außerdem bekommen Mitglieder unser sehr beliebtes Slow-Food-Magazin mit vielen Anregungen und Rezepten.« Das Interview führte Matthias Fuchs. Alnatura Magazin Juli 2023 55
Juli 2023 ISSN 1612-7153 Neue Marke
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