ERLEBEN Fahrrad-Spezial Bikepacking – Campingurlaub ohne Auto Als Selbstversorger unterwegs mit kleinem Gepäck: Bikepacking hat in den letzten Jahren einen Boom erlebt. Doch wo kommt der junge Radreise-Trend überhaupt her und welche Ausrüstung ist dafür nötig? Wir haben mit Julien Ted Riganti, Gründer des Labels 8000watt, eine Runde gedreht und nachgefragt. Zur Person Mit 8000watt in den sozialen Medien und der Website 8000watt.com zählt Julien Ted Riganti zu den bekanntesten Fahrrad-Influencern in Deutschland. Auf seinen Kanälen teilt der aus Hessen stammende Riganti Storys und Videos von seinen beeindruckenden Trips und Trainings, gibt Routentipps und führt Interviews mit Profi- und Nachwuchsfahrerinnen und -fahrern. Er berichtet auch live von großen Radveranstaltungen wie der Tour de France. In seinem Onlineshop vertreibt er zudem eigene Kleidung, Fahrradaccessoires, Espressotassen, Kaffee und vieles mehr. Herr Riganti, Sie sitzen viele Tausend Kilometer im Jahr im Sattel. Immer häufiger tauschen Sie dabei das klassische Straßenrennrad gegen das Gravelbike und machen sich auf, die Welt abseits der Landstraßen zu erkunden. Was ist der besondere Reiz dabei? » Am Anfang steht immer der Wunsch, ein Abenteuer zu erleben mit einem klaren Start- und Zielpunkt – es soll wirklich eine Reise sein. Dabei kann die Route 200 oder sogar tausend Kilometer lang sein. Auch bei kurzen Strecken lernt man schon viel über Land und Leute und hat natürlich ein einmaliges Naturerlebnis. Denn oft fahre ich durch Gebiete, die man während eines klassischen Urlaubs eher nicht bereisen kann, da die Infrastruktur zu wenig ausgebaut ist. Das Bikepacking ermöglicht einem dabei eine fast unerreichte Flexibilität, weil man ja alles dabeihat. Außerdem wird die Welt so wunderbar unkompliziert. Im Grunde beschäftigen einen nur zwei Fragen: Kommen wir rechtzeitig am Etappenziel an und gibt es dort genug zu essen?« Wie versorgen Sie sich unterwegs? »Aus einem Ökohaushalt stammend, sind Fruchtschnitten schon lange ein ständiger Begleiter für mich – 22 Alnatura Magazin April 2022
ERLEBEN auch beim Bikepacking. Und ich habe natürlich immer genügend Notfallproviant in Form von Riegeln und Co. mit, sodass man auch mal ein bis zwei Tage ohne weitere Verpflegung zurechtkommt. Aber für den Körper und die Seele brauche ich idealerweise täglich auch etwas Warmes und Herzhaftes. Dann muss man sich im Zweifel einfach mit der Situation vor Ort arrangieren. In Marokko im Atlasgebirge beispielsweise habe ich morgens, mittags und abends Berber-Ome lette gegessen, weil es einfach nichts anderes gab. Das ist aber auch das Großartige an der Erfahrung, neue Regionen zu erkunden und eben auch die jewei ligen Spezialitäten. Und dann ist es auch einfach so, dass Essen immer doppelt so gut schmeckt, wenn der Körper zuvor ans Limit gegangen ist. Wichtig ist natürlich, dass man während der Tour konstant etwas zu sich nimmt, damit die Energiespeicher nie vollkommen leer sind und der berühmte Hungerast nicht eintritt.« Im letzten Jahr waren Sie für eine Woche in Serranía Celtibérica (auch »Spanisch-Lappland« genannt) unterwegs, einem nahezu menschenleeren Gebiet im Nordosten Spaniens. Welche Erfahrungen haben Sie dort gemacht? »Ich habe es sehr genossen, ganz abseits der Zivilisation unterwegs zu sein. Ähnlich zu meinem Trip in Marokko war es eine Tour durch mir vollkommen unbekanntes Terrain – und das Verrückte war, dass ich mich oft gefragt habe, ob ich wirklich noch in Europa bin. Neben großen Pinienwäldern ging es durch felsige Mondlandschaften und unzählige riesige Canyons, in denen ständig die Geier über mir gekreist sind. Und dann natürlich die Ruhe, die in den kleinen verschlafenen Örtchen herrscht. Es war wie eine Zeitreise in einen alten Italowestern.« Welche Tipps haben Sie für Neulinge, die ihre erste Bikepacking-Tour planen? »Der Vorteil beim Bikepacking ist ja, dass man es überall machen kann. Daher würde ich immer raten, direkt vor der eigenen Haustür anzufangen. In der unmittelbaren Umgebung gibt es eigentlich immer viel zu entdecken und mit dem Rad nimmt man die Welt noch mal anders wahr. Zum Start würde ich außerdem zunächst nur eine Übernachtung einplanen. Vielleicht besucht man auch Bekannte oder Familienangehörige, die weiter entfernt leben, und probiert einfach mal aus, wie es läuft und ob man mit den Gegebenheiten gut klarkommt. In einigen Bundesländern darf man auf freier Fläche für eine Nacht campieren oder es bieten sich natürlich Campingplätze an. Ein persönlicher Tipp von mir sind außerdem Schutzhütten. Dort ist man in der Regel vollkommen für sich allein und hat ein tolles Naturerlebnis.« Das Interview führte Sebastian Fuchs. »Der Vorteil beim Bikepacking ist, dass man es überall machen kann. Fang direkt vor der eigenen Haustür an!« Julien Ted Riganti Julien Ted Riganti bei einer Pause vor einem verlassenen Gehöft in »Spanisch-Lappland«. Wo kommt der Bikepacking-Trend her? Die Wurzeln des Bikepackings liegen in den nordamerikanischen Mountainbike-Langstreckenrennen, sogenannten »Self-Supported Races«. In der Regel dauern diese mehrere Tage. Da Unterstützung von außen dabei verboten ist, müssen die Teilnehmenden ihre gesamte Übernachtungsausrüstung und Verpflegung selbst transportieren. Um dabei trotzdem möglichst windschnittig zu sein, schnallen sie ihre Ausrüstung direkt ans Rad, anstatt sie in wuchtigen Seitentaschen zu transportieren. Heute wird diese Form der Radreise auch unter nicht wettkampforientierten Freizeitsportlerinnen und -sportlern immer beliebter, da man Orte erreicht, an die man ansonsten nur schwer kommt. Befeuert wurde die Entwicklung auch durch das Aufkommen der Gravelbikes – eine Mischform von Mountainbike und Rennrad. Schnell, leicht und mit geländegängigen Reifen eignen sie sich mit am besten für ausgiebige Bikepacking-Ausflüge. Weite und Abgeschiedenheit – beim Bikepacking kommt man CO 2-neutral in sonst nur schwer erreichbare Regionen. Alnatura Magazin April 2022 23
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