Aufrufe
vor 7 Jahren

Teil 6/12: Pädagogik

  • Text
  • Kinder
  • Schule
  • Steiner
  • Schulen
  • Waldorfschule
  • Mensch
  • Bildung
  • Rudolf
  • Weltweit
  • Jost
Anthroposophische Perspektiven - In dieser Aufsatzreihe stellen Autoren beispielhaft Perspektiven der Anthroposophie auf das Lebensgebiet ihrer Berufspraxis vor.

EINFÜHRUNG Der

EINFÜHRUNG Der römische Philosoph Seneca (gestorben 65 n. Chr.) kann als ein früher Schulkritiker gelten. Er schimpfte auf das Lernen für die Schule und forderte dazu auf, stattdessen für das Leben zu lernen. Intuitiv stimmt dem wohl jeder auch heute noch spontan zu. Trotz vieler für ihren Beruf begeisterter Pädagogen besteht Einigkeit, dass in unserem Bildungswesen manches im Argen liegt. Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gab es eine Fülle schulreformerischer Bewegungen. Darunter kann die von Rudolf Steiner 1919 initiierte Waldorfschule als ein Konzept mit besonders nachhaltiger Wirkung gelten. In weltweit mehr als 1.000 Schulen und über 1.500 Kindergärten wird heute das ganzheitliche Lernen im Sinne der Waldorfpädagogik praktiziert. Kindgerecht und altersgemäß erfahren, erlernen und erarbeiten sich die Schüler die verschiedenen Themengebiete. Bewegung, Handwerk und künstlerische Arbeiten ergänzen und beleben das »theoretische« Lernen. Auf altersgerechtes Vorgehen und eine für die Kinder und später Jugendlichen fass- und verstehbare Darstellung wird sehr geachtet. Nicht »Kopflernen« oder Pauken stehen im Mittelpunkt, sondern der sich entwickelnde junge Mensch, der grundsätzlich als lernfähig und -willig angesehen wird. Dies zu fördern ist das bewusste Bestreben der Waldorfpädagogen, nicht es zu ersticken oder zu frustrieren. Die Waldorfpädagogik kann dem engagierten Lehrer ein Menschenbild und damit »Handwerkszeug« geben, sodass er seinen Beruf noch besser als Berufung leben kann. Wie das zu verstehen ist und wo wissenschaftlich zum Thema gearbeitet wird, erläutert Jost Schieren von der Alanus Hochschule in Alfter bei Bonn im folgenden Artikel. ››› Manon Haccius IMPRESSUM Anthroposophische Perspektiven / Zwölfteilige Serie Teil 6: Waldorfpädagogik – Erziehung zur Freiheit Autor: Jost Schieren Herausgegeben von: Manon Haccius, Alnatura Produktions- und Handels GmbH, Darmstädter Straße 63, DE-64404 Bickenbach, www.alnatura.de Copyright © 2011 by Alnatura Produktions- und Handels GmbH, Bickenbach Gestaltung: usus.kommunikation, Berlin Abbildungen: Rudolf Steiner Archiv, Dornach; Charlotte Fischer (4 / 5 Eurythmie, Töpfern) Verlag: mfk corporate publishing GmbH, Prinz-Christians-Weg 1, DE-64287 Darmstadt Druck: alpha print medien AG, Darmstadt Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, verboten. Kein Teil des Werks darf ohne schriftliche Genehmigung in irgendeiner Form reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme oder Datenträger verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Jede Verwertung ist ohne die Zustimmung des Herausgebers und des Autors unzulässig. 2

WALDORFPÄDAGOGIK – ERZIEHUNG ZUR FREIHEIT JOST SCHIEREN PISA UND DIE FOLGEN Seit der Veröffentlichung der ersten PISA-Studie im Jahr 2000 dominiert die Bildungsfrage den öffentlichen Diskurs. Das Wirtschaftsland Deutschland wurde in Sachen Bildung auf die hinteren Plätze verwiesen. Dies wirkte alarmierend: Wer seine Bildung nicht ernst nimmt, verspielt seine Zukunft. Die Wettbewerbsfähigkeit des Landes war in Frage gestellt, und damit griff die Sorge um den möglichen Verlust zukünftigen Wohlstands um sich. Die Bildungsfrage wurde zum mitbestimmenden Faktor der Politik und des Wahlkampfes in den Bundesländern. Es mussten Reformen her. Diese wurden auch zügig über die Köpfe von Schülern und Lehrern hinweg durchgesetzt: Lernstandserhebungen, Schulzeitverkürzung (G8), frühere Einschulung, Zentralisierung der Prüfungen und so weiter. Dies sind – neben der notwendigen Sicherstellung des Unterrichts durch die Neueinstellung von Lehrerinnen und Lehrern – die bekannten Maßnahmen, die als Schlagwörter die Diskussion über das deutsche Bildungssystem beherrschen. Und erste Erfolge werden sichtbar: Bei den jüngsten PISA-Ergebnissen, die im November 2010 veröffentlicht wurden, konnten sich deutsche Schülerinnen und Schüler vor allem im Fach Mathematik deutlich verbessern. Die Politik hat ihre Hausaufgaben gemacht, die öffentliche Meinung ist beruhigt. Weitgehend ungehört bleiben die Klagen der Betroffenen. Lehrerinnen und Lehrer verweisen darauf, dass der Unterricht mehr und mehr der Engführung prüfungsrelevanter Lehrstoffe unterworfen wird. In den USA wurde dafür schon frühzeitig der Ausdruck »teaching to the test« geprägt. Schüler und Eltern erfahren in Form von Leistungs- und Notendruck die Besetzung ihrer Lebenswelt durch die Schule. Es wird übersehen, dass Bildung nicht schadensfrei einer ökonomischen Denkweise unterworfen werden kann. In industriellen Fertigungsprozessen ist es durchaus angemessen, dass Rohstoffe in einen Herstellungsprozess, beispielsweise bei der Autoproduktion, eingeführt werden. Dann findet die Produktion mit schrittweise durchgeführten Qualitätsprüfungen statt. Und am Ende, wenn das Auto als fertiges Produkt vom Band rollt, wird eine Endkontrolle durchgeführt, die die Einhaltung der vorher feststehenden Qualitätsstandards überprüft. Es wäre fatal, wenn zum Beispiel die Bremsen nicht den TÜV-Normen entsprächen. Können aber für Bildungsprozesse die gleichen Bedingungen gelten? Sind die Kinder, die in die Schule eintreten, ebensolchen standardisierten Prüfungen und Kontrollen zu unterziehen? Geben die Prüfungsergebnisse tatsächlich Auskunft über den Bildungserfolg? Erziehungswissenschaftler und vor allem auch die Abnehmer der Schulen, nämlich weiterführende Bildungseinrichtungen und auch Betriebe, melden hier erhebliche Zweifel an. Die erworbenen Schulabschlüsse lassen nur ungenügende Rückschlüsse auf die Eignung eines Bewerbers zu. In der Berufswelt gefragte Qualitäten wie Team- und Kommunikationsfähigkeit, Lernbereitschaft und Lernfreude, Verantwortungsbewusstsein, Selbstorganisationsvermögen, Ausdauer, Initiativbereitschaft und so weiter werden nicht durch einen Notendurchschnitt gespiegelt. Ein Bildungsverständnis, das rein ökonomischen Kriterien verpflichtet ist und den Menschen als Normprodukt begreift, muss zuletzt auch sein selbst gesetztes Ziel verfehlen, nämlich die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes sicherzustellen. Darüber hinaus wird das eigentliche Zentrum eines Bildungsvorganges, nämlich der Mensch selbst, aus dem Auge verloren. Dies spüren viele am Erziehungs- und Bildungsprozess Beteiligte, und es findet eine Suche nach Alternativen statt. Es wird eine Bildung gesucht, die den Menschen in den Fokus stellt. Mit den aufrührenden PISA-Nachrichten und der zunehmend öffentlich geführten Bildungsdiskussion ist das Bewusstsein um die Bedeutung der Bildungsqualität gestiegen. Eltern informieren sich inzwischen sehr genau, bevor sie eine Schulwahlentscheidung für ihre Kinder treffen. Dies führt dazu, dass die zahlreichen Alternativen zum Regelschulsystem – freie Schulen, konfessionelle Schulen, reformpädagogisch geprägte Schulen und auch Wal dorfschulen – einen verstärkten Zuspruch erfahren. Das Hauptanliegen der Eltern ist es, für ihre Kinder eine Schule zu finden, die sie optimal fördert, unterstützt und Es wird übersehen, dass Bildung nicht schadensfrei einer ökonomischen Denkweise unterworfen werden kann. PÄDAGOGIK 3

digitale Sammlung

Neu eingetroffen

© 2021 by Alnatura