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Alnatura Magazin Oktober 2018

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Schwerpunkt-Thema Alnatura Bio-Bauern-Initiative

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG FAMILIE »Easy-peasy!« In einer Grundschule in London läuft ein weltweit einmaliges Experiment: Alle Fächer werden anhand von Essen gelehrt. Kurt, Advik und Dion stören gerne mal den Unterricht, allein weil sie sich so viel zu erzählen haben. Aber jetzt, in der Küche, will Kurt einfach nur das Kuchenrezept vorlesen: Süßkartoffelbrei, Buchweizenmehl und Honig aus dem eigenen Garten. »Oh my gosh!« und »Yeah!«, schreien da ein paar Mädchen. Dann bilden die Erstklässler in den zitronenfaltergelben Poloshirts Gruppen. Kurt, Advik und Dion messen konzentriert Zutat für Zutat ab. Nur einmal rufen sie den Koch: »Entschuldigung bitte, Chef! Wir haben hier minus 679 Gramm Buchweizenmehl.« Er erklärt ihnen, wie 42 Alnatura Magazin Oktober 2018

Foto Charlton Manor Primary »Meine Vision ist keine für die Schule, sondern für die Zukunft der Kinder. Ich frage mich: Was können wir ihnen mitgeben, damit sie sich zu verantwortungsvollen Erwachsenen entwickeln?« Tim Baker, Schuldirektor man die Waage auf null zurückstellt. »Easy - peasy«, sagt Dion, als die Anzeige endlich korrekte 30 Gramm zeigt, und vergibt High Fives. Advik malt ein Häkchen aufs Rezept. Kurt wischt hüftkreisend und »Pea nut Butter Jelly«-singend die Ablage, und wenn ihm dabei jemand im Weg ist, sagt er wieder: »Entschuldigung, bitte.« Nach einer Dreiviertelstunde schüttet der Koch einen großen Teig zusammen: »Vielen Dank für eure Hilfe!« Die Schüler strömen auf den Pausenhof, ohne zu bemerken, dass sie gerade brav am Unterricht teilgenommen, gerechnet und gelesen haben. Die staatliche Charlton Manor Grundschule könnte eine Problemschule sein. Sie liegt im Südosten Londons, über 80 Prozent der Kinder kommen aus armen Familien, für viele ist Englisch die Zweitsprache. Doch sie gilt als Schule der Zukunft, und das ohne besondere Technik oder großes Budget: Ein engagierter Mensch mit einer guten Idee tut es auch. Wenn Schuldirektor Tim Baker vor seinem Uraltbildschirm sitzt, graues Hemd und tiefe Augenhöhlen, sieht man ihm seine Leidenschaft nicht an. Aber man hört sie: »Meine Vision ist keine für die Schule, sondern für die Zukunft der Kinder. Ich frage mich: Was können wir ihnen mitgeben, damit sie sich zu verantwortungsvollen Erwachsenen entwickeln?« Die Situation, die er vorfand: Schüler, die Natur nur aus Stadtparks kennen und Schokoriegel als Pausenbrote mitbringen. Dann ein Schicksalsmoment: Eines Tages summte ein Bienenschwarm quer über das Schulgelände. Die Kinder blieben inmitten der Bienen erstaunlich ruhig, sodass Baker beschloss, einen Garten anzulegen. Mit Honigbienen, Hühnern und Gemüse. Und wenn sie schon eigenes Gemüse hatten, konnten sie auch gleich gemeinsam kochen. »Weil die Stundenpläne aber bereits übervoll waren«, sagt Baker, »haben wir das Ernten und Kochen einfach in den Unterricht integriert.« Die Lehrer waren anfangs skeptisch. Dann merkten sie, dass sie den Lehrplan trotzdem schafften – mit ein bisschen Fantasie ließ sich praktisch jeder Inhalt über Essen vermitteln. Und die Schüler arbeiteten auch noch besser mit. »Secret Garden« steht in silbernen Lettern auf einem Eisentor am Rande des Schulhofs. Wer eintritt und die gewundenen Pfade entlanggeht, entdeckt tatsächlich versteckte Beete und Gewächshäuser. An einem Teich bestimmen Sechstklässler mit ihrem Biolehrer die Entwicklungsstadien von Kaulquappen. Hinter einem Zaun sind die Bienenstöcke, in zwei Ställen wohnen 24 Hühner. In seiner Hütte schreibt der Schulgärtner gerade das Wort »unser« auf einen Holzklotz. Über hundert Klötze will er überall verteilen, die Schüler können dann draußen nicht nur Minikiwis und Mangold mit dem Lineal abmessen, sondern zukünftig auch Sätze bauen. Seit fast 15 Jahren ist Ernährung nun schon das Fundament der Charlton Manor Grundschule. Die »Food Revolution«, wie Tim Baker sie nennt, wächst bis heute durch Spenden. Die Kinder sind gesünder und fitter geworden und dadurch auch konzentrierter. Und das Lernen funktioniert fast ausschließlich übers Erleben. Ein Beispiel: Im Englischunterricht lesen die Drittklässler Roald Dahls »Revolting Recipes« und backen dann selbst verrückte Rezepte. Einen Kuchen mit Hühnerbeinen bringen sie Tim Baker ins Büro. Der probiert, beginnt zu gackern. Nach dem Unterricht schickt der Lehrer die Kinder wieder zum Direktor. Anstelle von Mister Baker finden sie auf dem Bürostuhl ein Huhn vor. Albern, okay. Aber die Aufsätze, die in der Folge entstehen, hauen Tim Baker um. Im Charlton Restaurant, einem mit Sonnenblumen bemalten Flachbau, gibt es heute jamaikanische Pasteten, viel Salat und Obst. Preis: 1,40 Pfund pro Schüler. Der größte Teil der Ernte landet aber in der Schulküche – so wie an diesem Vormittag bei Kurt, Advik und Dion – und dann im Schulhof laden. Damit wirkt die Schule bis in die Familien hinein. »Die Eltern bekommen eine Mahlzeit für ein bis zwei Pfund, also zum Preis einer Portion Pommes. Einkaufen können sie ganz bequem, wenn sie die Kinder abholen«, sagt Tim Baker. Was als Abfall übrig bleibt, landet auf einem Zwei-Meter-Haufen im Garten. Durch eine Glasscheibe sehen die Schüler Vergänglichkeit: Zwiebelhäute verrotten zu grünem Moos, zu Kompost, aus dem eines Tages wieder etwas Neues wächst. ››› Gastbeitrag Daniela Gassmann Ein Heft für Sie – und Ihre Kinder! Die Geschichte in voller Länge finden Sie im Magazin »Süddeutsche Zeitung Familie«, das es ab jetzt am Kiosk oder im Abo zu kaufen gibt. »Süddeutsche Zeitung Familie« besteht aus zwei Teilen, einem für Kinder und einem für Erwachsene. Die Hefte können nebeneinander und miteinander gelesen werden. Das Kinderheft eignet sich für Kinder ab vier Jahren und ist komplett werbefrei. Unter sz.de/alnatura können Sie eine Testausgabe gratis bestellen!

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